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Nun macht doch mal langsam

Quergedanken im Februar 2023 von Andreas Pecht

 

Andreas Pecht

Nicht erst seit ich Rentner bin erscheint mir die Welt wie in Raserei gefallen. Schon früher kam mir bei allerhand Anlässen die alte Volksweisheit in den Sinn: „Gut Ding will Weile haben." Bedeutet: Soll etwas ordentlich gemacht werden und von Bestand sein, braucht das eben seine Zeit. „Numme net hudle" pflegte mein Vater selig, zu Lebzeiten Schreinermeister, seine Lehrbuben zu mahnen, wenn diese oberflächliches Schnellschnell mit sorgsamem Gutmachen verwechselten.

 

Omas Brotteig reifte noch fast zwei Tage. Binnen drei Minuten kann man(n) vielleicht ein Kind zeugen, aber kaum einen allseits als schön empfundenen Liebesakt gestalten. Und die Deutsche Bahn wäre auch besser beraten, ihre Anstrengungen auf Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und Flächenabdeckung zu konzentrieren, statt sich mit Höchstgeschwindkeitszügen zu erschöpfen. Ob die Fahrt nach Berlin sechs oder fünf Stunden dauert, wäre mir piepsegal, wenn ich denn nur sicher sein könnte, alle Anschlüsse zu erreichen, nicht in Frankfurt, Dortmund oder irgendwo in der Wallachei hängen zu bleiben.


Mit Freund Walter hatte ich neulich einen Plausch darüber: Dass die Menschheitsentwicklung ein über alle Zeitalter fortlaufender Prozess von Migration, Völkervermischung und Kulturaneignung war/ist, steht ja fest. Aber war/ist sie nicht zugleich auch ein Prozess ständiger Beschleunigung aller Lebensaspekte? Für die längste Periode des Menschendaseins auf dem Planeten, also die steinzeitlichen Jahrzehntausende, kamen wir zu keinem Schluss. Denn es ist durchaus möglich, dass unsere Uraltvorderen Zeitgewinne bei der Überlebenssicherung durch Fortschritte bei Werkzeugen und Jagdwaffen einfach benutzten, um sich ein paar Stündchen länger am Feuer auszustrecken oder sich vermehrt anderen schönen Seiten ihres Lebens zu widmen (erzählen, singen, tanzen, Höhlenwände bemalen, Erkenntnissuche etc.). Klar jedoch ist: Die bis heute anhaltende Beschleunigung der Kommunikation begann mit der Erfindung der Schrift; die Beschleunigung von Fortbewegung und Transport mit der Domestizierung von Last-/Reittieren und der Erfindung des Rades.


Später kamen Verbrennungsmaschinen, Elektrizität und die kapitalistische Leitphilosophie „time is money", Zeit ist Geld, hinzu – und haben den Homo sapiens in eine beispiellose Tempo-Orgie gestürzt. Die dauert nun schon fast drei Jahrhunderte und rast mit der Digitalisierung in exponentiell zunehmender Hatz wieder und wieder um den Erdball; durch Fabriken, Büros, Geschäfte; über Schienen, Straßen und durch die Lüfte; mitten hinein auch in Küchen, Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer, in Freizeit und Urlaub. Längst hat der Tempolustzwang Köpfe und Herzen vereinnahmt, ist die sprichwörtliche „Weile" ein Feindbild geworden: Mal als unproduktive Langsamkeit verunglimpft und bekämpft; mal als quälende Langeweile empfunden, sobald die Dauerflut aus Unterhaltung und Action einen Moment schwächelt.


„Dumm ist nur", meinte Walter, „dass die sachlichen und menschlichen Kollateralschäden dieser Raserei mittlerweile ihren Nutzen oft übertreffen. Schnell und viel-neu ist nunmal nicht automatisch gut - und kaum jemand kann (etliche wollen auch nicht) bei Tempo und Fülle der sogenannten Fortschritte noch die Spreu vom Weizen trennen." Welcher Fortschritt ist sinnvoll, welcher nur profitabler Humbug, welcher gar schädlich für Mensch und Umwelt? Wir Rasenden bemerken es leider meist erst im Nachhinein.

 

Der Autor im Internet: www.pecht.info

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